Illustration: Ulrika Nilsson Carlsson
Innere Uhren sind verschieden – Gene und Hormone?
„In den wenigen durchgeführten Studien hat sich gezeigt, dass ein späterer Schulbeginn die Aufmerksamkeit und die geistigen Fähigkeiten der Schüler im morgendlichen Unterricht verbessert. Ironischerweise tendieren Jugendliche zu einer Leistungssteigerung im Laufe des Tages, während die Leistung ihrer älteren Lehrer im gleichen Zeitraum nachlässt!“ Die innere Uhr tickt nicht bei jedem gleich.
Wer morgens munter ist und abends früh schlafen geht, ist eine „Lerche“, Morgenmuffel und nachtaktive Menschen hingegen sind „Eulen“.
Diese Begriffe beschreiben das reale Phänomen der zirkadianen Präferenz, also der Zeiten, zu denen wir lieber schlafen oder am besten unsere Arbeit erledigen. Die zirkadiane Präferenz wird teilweise von unseren Uhr-Genen bestimmt. Spannende Forschungsergebnisse der letzten Jahre haben gezeigt, dass kleine Veränderungen in diesen Genen mit der schnellen Uhr der Lerchen (kürzer als 24 Stunden) bzw. der langsamer laufenden Uhr der Eulen (länger als 24 Stunden) in Verbindung gebracht werden können. Aber nicht nur unsere Gene regeln die zirkadiane Präferenz. Unsere Schlafzeiten verändern sich auch mit zunehmendem Alter.
In der Pubertät verschieben sich die Schlaf- und Wachzeiten nach hinten. Diese Tendenz, immer später aufzustehen, setzt sich bis ins Alter von 19,5 Jahren bei Frauen und 21 Jahren bei Männern fort. Dann findet eine Umkehr zu früheren Schlaf- und Wachzeiten statt. Im Alter von 55 bis 60 Jahren stehen wir wieder so früh auf wie ein zehnjähriges Kind.
Diese und ergänzende Ergebnisse zeigen, dass Jugendlichen das frühe Aufstehen tatsächlich Probleme bereitet. Bei Teenagern zeigt sich sowohl verzögerter Schlaf als auch enormer Schlafmangel, da sie spät zu Bett gehen, aber wegen der Schule dennoch früh aufstehen müssen. Diese realen biologischen Effekte werden von den zeitlichen Strukturen, die Teenagern durch die Schule auferlegt werden, weitestgehend ignoriert.
In den wenigen durchgeführten Studien hat sich gezeigt, dass ein späterer Schulbeginn die Aufmerksamkeit und die geistigen Fähigkeiten der Schüler im morgendlichen Unterricht verbessert. Ironischerweise tendieren Jugendliche zu einer Leistungssteigerung im Laufe des Tages, während die Leistung ihrer älteren Lehrer im gleichen Zeitraum nachlässt. Die Mechanismen, die diese Veränderung der zirkadianen Präferenz bewirken, sind bislang nur wenig erforscht und hängen vermutlich mit den ausgeprägten Veränderungen unseres Steroidhormonhaushalts (z. B. Testosteron, Östrogen, Progesteron) zusammen, der durch einen rapiden Anstieg in der Pubertät und einen allmählichen Rückgang im Alter gekennzeichnet ist.
Lichtuhren und Konzentrationsfähigkeit
Das Auge stellt eine Verbindung zur Außenwelt her – nicht nur für unseren Sehsinn, sondern auch für unseren Zeitsinn und viele zeitliche Abläufe in unserem Körper.
Eine Uhr ist nur dann eine Uhr, wenn sie auf die Ortszeit eingestellt werden kann. Die molekularen Uhren innerhalb des SCN werden normalerweise durch die tägliche Wahrnehmung des Lichts bei Morgen- und Abenddämmerung über das Auge reguliert bzw. in Bewegung gesetzt. Wird die Uhr keinem stabilen Hell-Dunkel-Zyklus ausgesetzt, kommt es zu einem „freien“ oder auch gestörten zirkadianen Rhythmus.
Die Entkoppelung vom natürlichen Tag ist in industrialisierten Gesellschaften nichts Ungewöhnliches und der Sonderfall von Schichtarbeitern wird nachstehend erörtert. Allerdings gibt es zahlreiche Fälle von Isolation von den morgendlichen und abendlichen Lichtsignalen. Beispielsweise kommt in Intensivstationen für Kinder und Erwachsene häufig eine gedämpfte, aber konstante Beleuchtung zum Einsatz, die zwangsläufig zu einer Verschiebung und Desynchronisation der inneren Uhr führt. Das Ergebnis ist ein geschwächter Gesundheitszustand des Patienten (siehe Unterabschnitt „Uhrstörungen“). Licht bewirkt mehr als nur eine zeitliche Regulierung unseres zirkadianen Rhythmus – es wirkt sich auch direkt auf unsere Aufmerksamkeit und Leistungsfähigkeit aus.
Gehirn-Scans, die erstellt wurden, nachdem Personen Licht ausgesetzt wurden, zeigen erhöhte Aktivitäten in vielen Bereichen des Gehirns, die mit der Aufmerksamkeit, der Wahrnehmung und dem Gedächtnis (Thalamus, Hippocampus, Hirnstamm) sowie der Stimmung (Mandelkern) in Verbindung stehen. Zudem fördert Tageslicht auch erwiesenermaßen die Konzentration und die Fähigkeit zur Ausführung kognitiver Aufgaben bei gleichzeitiger Verringerung der Schläfrigkeit. Unzureichender Lichteinfall in ein Gebäude führt also nicht nur zu Schlafstörungen und verlagerten Tagesrhythmen, sondern beeinträchtigt auch Leistung und Aufmerksamkeit.
Spezielle Fotorezeptoren in den Ganglienzellen des Sehnervs synchronisieren unsere innere Uhr mit dem Hell-Dunkel-Zyklus unserer Umwelt – und damit mit der Ortszeit.
Nach der Entdeckung eines vollständig neuen Fotorezeptorsystems im Auge ist unser Verständnis davon, wie Licht den zirkadianen Rhythmus und die Wachheit reguliert, in den letzten Jahren beträchtlich gewachsen. Dieser neu entdeckte Fotorezeptor befindet sich nicht im gleichen Teil des Auges wie die Stäbchen (Nachtsicht) und Zapfen (Tagsicht), die uns die Welt bildlich darstellen, sondern in den Ganglienzellen des Sehnervs. Die meisten Ganglienzellen bilden eine funktionale Verbindung zwischen Auge und Gehirn, aber einige spezielle Ganglienzellen (1 – 3 %) sind direkt lichtempfindlich und projizieren das empfangene Licht in den Teil des Gehirns, der für die Regulierung des zirkadianen Rhythmus, des Schlafes, der Aufmerksamkeit, des Gedächtnisses und der Stimmung verantwortlich ist.
Diese fotosensitiven retinalen Ganglienzellen (pRGCs) enthalten ein lichtempfindliches Pigment namens Opn4, das mit einer maximalen Empfindlichkeit bei 480 nm am stärksten auf blaues Licht reagiert, ähnlich dem „Blau“ eines klaren blauen Himmels. Dieses Lichtdetektionssystem ist anatomisch und funktional unabhängig vom visuellen System und entwickelte sich vermutlich bereits vor dem Sehsinn als wichtigstem Sinn für die Erkennung von Licht und die Abstimmung täglicher Rhythmen. Interessanterweise können die pRGCs auch noch bei blinden Tieren oder Menschen mit komplett zerstörten Stäbchen und Zapfen Licht wahrnehmen und somit die innere Uhr und die Wachheit beeinflussen. Das hat weitreichende Konsequenzen für Augenärzte, die zum großen Teil keine Kenntnis dieses neuen Fotorezeptorsystems und seiner Auswirkungen auf die menschliche Physiologie haben.
Angesichts der Farbempfindlichkeit von Opn4 liegt die Vermutung nahe, dass blaues Licht die für eine Verschiebung des zirkadianen Rhythmus und die Alarmierung des Wecksystems effektivste Wellenlänge (Farbe) besitzt. Dies konnte in allen bislang durchgeführten Studien so nachgewiesen werden. Ist man nachts blauem Licht ausgesetzt, führt dies zu einer sehr effektiven Verschiebung der inneren Uhr, verringert die Schläfrigkeit, verbessert die Reaktionszeit und aktiviert Bereiche des Gehirns, die für die Regulierung von Wach- und Schlafphasen zuständig sind.
Neben dem Farbspektrum wirken sich auch Zeitpunkt, Dauer, Muster und Verlauf der Lichteinwirkung in Interaktion miteinander auf den zirkadianen Rhythmus und die Aufmerksamkeit aus. Der Zeitpunkt der Lichteinwirkung ist dabei besonders wichtig. Denn abhängig von der Expositionszeit wird die innere Uhr entweder vorgestellt (früher ins Bett gehen) oder zurückgestellt (später ins Bett gehen). Unter natürlichen Umständen verursacht der Lichteinfluss in der Abenddämmerung eine Verzögerung der Uhr, Licht in der Morgendämmerung hingegen stellt die Uhr vor. Dieser Verschiebungseffekt des Lichts verursacht die Abhängigkeit der SCN-Neuronen vom Tageslicht und ist von grundsätzlicher Bedeutung, um die Auswirkungen von Jetlag, Schichtarbeit (siehe unten) sowie von Tageslicht in Gebäuden auf den Schlaf-Wach-Rhythmus zu verstehen.
Da die pRGCs weniger lichtempfindlich als Stäbchen und Zapfen reagieren, erkennen sie keine kurze Lichteinwirkung, die der Sehsinn sofort erfassen würde. Über längere Dauer aber kann auch schwaches Licht deutliche Wirkung zeigen. Deshalb kann selbst relativ schwaches Licht in Innenräumen, z. B. von Nachtischlampe oder Computerbildschirm (weniger als 100 Lux) über mehrere Stunden hinweg einen messbaren Effekt auf unsere innere Uhr und das Wecksystem haben und Schlafstörungen verschlimmern.
In ihrer Summe finden diese Auswirkungen des Lichts, also seine spektrale Zusammensetzung sowie die Lichtdauer und Helligkeit, breite Anwendung in einem klinischen und beruflichen Umfeld, nicht nur bei der Behandlung von Schlafstörungen und Müdigkeit, sondern auch in der Architektur von Krankenhäusern, Schulen, Büros, Geschäften und Wohngebäuden.