Die Wirkung von Licht auf die biologische Uhr und den Nachtschlaf


By Russell G. Foster
Das Tageslicht in Gebäuden wahrnehmen

In den letzten eineinhalb Jahrhunderten haben uns Kunstlicht und die Veränderung unserer Arbeitszeiten scheinbar vom täglichen Hell-Dunkel-Zyklus „befreit“, den die Natur für uns vorgesehen hat. Jüngste Forschungen haben aber gezeigt, dass diese Trennung von der Natur einen hohen Preis hat und zu gesundheitlichen und sozialen Problemen führt. Es ist daher notwendig, diese Verbindung zum Rhythmus der Natur wiederherzustellen – was auch fundamentale Auswirkungen auf unsere Architektur haben wird.

Von Russell G. Foster, Professor of Circadian Neuroscience und Head of Department of Ophthalmology an der Universität von Oxford

Einleitung

Unser Leben wird von der Uhrzeit bestimmt, die uns vorgibt, was wir zu tun haben. Aber der Digitalwecker, der uns morgens weckt, oder die Armbanduhr, die uns sagt, dass wir zu spät zum Abendessen kommen, sind keine natürlichen Uhren. Unsere Biologie orientiert sich an einem viel älteren Takt, der vermutlich schon bei der Entstehung allen Lebens zu schlagen begann.

Eingebettet in unsere Gene – und beinahe in alles Leben auf der Erde – finden sich die Anweisungen für eine biologische Uhr, die eine Zeitspanne von etwa 24 Stunden umfasst. Biologische oder „zirkadiane“ Uhren (circa = über, dies = Tag) beeinflussen unsere Schlafmuster und Wachphasen, unsere Laune und Körperkraft, unseren Blutdruck und vieles mehr. Unter normalen Umständen erleben wir einen 24-Stunden-Rhythmus, geprägt von Licht und Dunkelheit. Unsere zirkadiane Uhr verwendet dieses Lichtsignal, um die biologische Zeit an Tag und Nacht anzupassen.

Die Uhr wird genutzt, um die unterschiedlichen Anforderungen des 24-Stunden-Tages vorherzusehen und unsere Physiologie und unser Verhalten exakt und im Voraus auf die sich verändernden Bedingungen einstellen zu können. Wenn es auf die Schlafenszeit zugeht, sinkt die Körpertemperatur, der Blutdruck fällt, die kognitive Leistung nimmt ab und die Müdigkeit zu. Bei Anbruch der Morgendämmerung hingegen wird der Stoffwechsel in Erwartung gesteigerter Aktivität hochgefahren.

Nur wenige von uns bringen dieser inneren Welt Wertschätzung entgegen, werden wir doch verleitet von einer vermeintlichen Freiheit, zu schlafen, zu arbeiten, zu essen, zu trinken oder zu reisen, wann immer wir wollen. Diese Freiheit aber ist eine Illusion: In Wirklichkeit sind wir nicht in der Lage, frei und unabhängig von der biologischen Ordnung zu handeln, die uns die zirkadiane Uhr auferlegt. Während eines 24-Stunden-Tages können wir nicht zu jedem Zeitpunkt Leistung mit gleicher Effizienz erbringen.

Das Leben hat sich auf einem Planeten entwickelt, der innerhalb von 24 Stunden einen grundlegenden Wechsel der Lichtverhältnisse erfährt. Unsere Biologie greift diesen Veränderungen voraus und braucht den natürlichen Hell-Dunkel-Zyklus, um ordnungsgemäß zu funktionieren. Dennoch koppeln wir uns von der Umwelt ab, indem wir mithilfe elektrischen Lichts die Nacht zum Tag machen und uns in Gebäuden verschanzen, die uns vom natürlichen Licht abschirmen. Dieser kurze Bericht erörtert daher einige der bedeutenden Konsequenzen unserer zunehmenden Abwendung vom Sonnenlicht.

eBook: Daylight Architecture Compilation

Der innere Tag

An der Hirnbasis befindet sich der vordere Hypothalamus, ein Bündel von etwa 50.000 Neuronen, das Nucleus suprachiasmaticus oder SCN genannt wird. Wird diese Region infolge eines Schlaganfalls oder Tumors zerstört, geht der 24-Stunden-Rhythmus verloren und die physiologischen Funktionen verteilen sich willkürlich über den ganzen Tag. Die Erkenntnis, dass einzelne von anderen Zellen isolierte SCN-Neuronen ihre elektrische Aktivität an einem Rhythmus von annähernd 24 Stunden ausrichten, zeigt, dass die grundlegenden Mechanismen der inneren Uhr Teil eines subzellulären Mechanismus auf molekularer Ebene sein müssen. Bis heute wurden etwa 14 bis 20 Gene und deren Proteinprodukte mit der Erzeugung zirkadianer Rhythmen in Verbindung gebracht.

Kernstück der molekularen Uhr ist eine negative Rückkopplungsschleife mit folgendem Ablauf: Die Uhr-Gene werden transkribiert und die Boten-RNA (mRNA) zum Zytoplasma der Zelle transportiert, wo sie in Proteine umgewandelt werden. Die Proteine interagieren, bilden Komplexe und wandern dann vom Zytoplasma in den Zellkern, wo sie die Transkription ihrer eigenen Gene verhindern. Anschließend zerfallen die inhibitorischen Uhr-Protein-Komplexe und die Kern-Uhr-Gene sind wieder frei für die Produktion von mRNA und damit neuen Proteinen. Diese negative Rückkopplungsschleife erzeugt einen etwa 24-stündigen Rhythmus von Proteinproduktion und -zerfall und kodiert auf diese Weise den biologischen Tag.

Ursprünglich ging man davon aus, dass SCN-Neuronen kollektiv einen 24-Stunden-Rhythmus für Physiologie und Verhalten steuern oder festlegen. Allerdings führte die Entdeckung, dass isolierte Zellen aus fast jedem Organ des Körpers Uhr-Gene/-Proteine in einem zirkadianen Rhythmus erzeugen, zu einem völlig neuen Verständnis. Heute wissen wir, dass das SCN-Neuron wie ein Schrittmacher funktioniert und die Aktivität aller Zelluhren wie der Dirigent eines Orchesters koordiniert und die zeitlichen Abläufe der zahlreichen und vielfältigen Komponenten dieses Ensembles regelt. Ohne SCN driften die einzelnen Zelluhren der Organsysteme auseinander und die zirkadianen Rhythmen kollabieren – was wir als interne Desynchronisation bezeichnen. Diese ist der Hauptgrund, warum wir uns bei einem Jetlag so elend fühlen. In diesem Fall arbeiten die verschiedenen Organsysteme wie Gehirn, Leber, Darm, Muskeln usw. leicht zeitversetzt. Erst nach der Neujustierung unserer inneren Uhr können wir wieder normal funktionieren.

Augenillustration aus der Daylight and Architecture

Illustration: Ulrika Nilsson Carlsson

Innere Uhren sind verschieden – Gene und Hormone?

„In den wenigen durchgeführten Studien hat sich gezeigt, dass ein späterer Schulbeginn die Aufmerksamkeit und die geistigen Fähigkeiten der Schüler im morgendlichen Unterricht verbessert. Ironischerweise tendieren Jugendliche zu einer Leistungssteigerung im Laufe des Tages, während die Leistung ihrer älteren Lehrer im gleichen Zeitraum nachlässt!“ Die innere Uhr tickt nicht bei jedem gleich.

Wer morgens munter ist und abends früh schlafen geht, ist eine „Lerche“, Morgenmuffel und nachtaktive Menschen hingegen sind „Eulen“.

Diese Begriffe beschreiben das reale Phänomen der zirkadianen Präferenz, also der Zeiten, zu denen wir lieber schlafen oder am besten unsere Arbeit erledigen. Die zirkadiane Präferenz wird teilweise von unseren Uhr-Genen bestimmt. Spannende Forschungsergebnisse der letzten Jahre haben gezeigt, dass kleine Veränderungen in diesen Genen mit der schnellen Uhr der Lerchen (kürzer als 24 Stunden) bzw. der langsamer laufenden Uhr der Eulen (länger als 24 Stunden) in Verbindung gebracht werden können. Aber nicht nur unsere Gene regeln die zirkadiane Präferenz. Unsere Schlafzeiten verändern sich auch mit zunehmendem Alter.

In der Pubertät verschieben sich die Schlaf- und Wachzeiten nach hinten. Diese Tendenz, immer später aufzustehen, setzt sich bis ins Alter von 19,5 Jahren bei Frauen und 21 Jahren bei Männern fort. Dann findet eine Umkehr zu früheren Schlaf- und Wachzeiten statt. Im Alter von 55 bis 60 Jahren stehen wir wieder so früh auf wie ein zehnjähriges Kind.

Diese und ergänzende Ergebnisse zeigen, dass Jugendlichen das frühe Aufstehen tatsächlich Probleme bereitet. Bei Teenagern zeigt sich sowohl verzögerter Schlaf als auch enormer Schlafmangel, da sie spät zu Bett gehen, aber wegen der Schule dennoch früh aufstehen müssen. Diese realen biologischen Effekte werden von den zeitlichen Strukturen, die Teenagern durch die Schule auferlegt werden, weitestgehend ignoriert.

In den wenigen durchgeführten Studien hat sich gezeigt, dass ein späterer Schulbeginn die Aufmerksamkeit und die geistigen Fähigkeiten der Schüler im morgendlichen Unterricht verbessert. Ironischerweise tendieren Jugendliche zu einer Leistungssteigerung im Laufe des Tages, während die Leistung ihrer älteren Lehrer im gleichen Zeitraum nachlässt. Die Mechanismen, die diese Veränderung der zirkadianen Präferenz bewirken, sind bislang nur wenig erforscht und hängen vermutlich mit den ausgeprägten Veränderungen unseres Steroidhormonhaushalts (z. B. Testosteron, Östrogen, Progesteron) zusammen, der durch einen rapiden Anstieg in der Pubertät und einen allmählichen Rückgang im Alter gekennzeichnet ist.

Lichtuhren und Konzentrationsfähigkeit

Das Auge stellt eine Verbindung zur Außenwelt her – nicht nur für unseren Sehsinn, sondern auch für unseren Zeitsinn und viele zeitliche Abläufe in unserem Körper.

Eine Uhr ist nur dann eine Uhr, wenn sie auf die Ortszeit eingestellt werden kann. Die molekularen Uhren innerhalb des SCN werden normalerweise durch die tägliche Wahrnehmung des Lichts bei Morgen- und Abenddämmerung über das Auge reguliert bzw. in Bewegung gesetzt. Wird die Uhr keinem stabilen Hell-Dunkel-Zyklus ausgesetzt, kommt es zu einem „freien“ oder auch gestörten zirkadianen Rhythmus.

Die Entkoppelung vom natürlichen Tag ist in industrialisierten Gesellschaften nichts Ungewöhnliches und der Sonderfall von Schichtarbeitern wird nachstehend erörtert. Allerdings gibt es zahlreiche Fälle von Isolation von den morgendlichen und abendlichen Lichtsignalen. Beispielsweise kommt in Intensivstationen für Kinder und Erwachsene häufig eine gedämpfte, aber konstante Beleuchtung zum Einsatz, die zwangsläufig zu einer Verschiebung und Desynchronisation der inneren Uhr führt. Das Ergebnis ist ein geschwächter Gesundheitszustand des Patienten (siehe Unterabschnitt „Uhrstörungen“). Licht bewirkt mehr als nur eine zeitliche Regulierung unseres zirkadianen Rhythmus – es wirkt sich auch direkt auf unsere Aufmerksamkeit und Leistungsfähigkeit aus.

Gehirn-Scans, die erstellt wurden, nachdem Personen Licht ausgesetzt wurden, zeigen erhöhte Aktivitäten in vielen Bereichen des Gehirns, die mit der Aufmerksamkeit, der Wahrnehmung und dem Gedächtnis (Thalamus, Hippocampus, Hirnstamm) sowie der Stimmung (Mandelkern) in Verbindung stehen. Zudem fördert Tageslicht auch erwiesenermaßen die Konzentration und die Fähigkeit zur Ausführung kognitiver Aufgaben bei gleichzeitiger Verringerung der Schläfrigkeit. Unzureichender Lichteinfall in ein Gebäude führt also nicht nur zu Schlafstörungen und verlagerten Tagesrhythmen, sondern beeinträchtigt auch Leistung und Aufmerksamkeit.

Spezielle Fotorezeptoren in den Ganglienzellen des Sehnervs synchronisieren unsere innere Uhr mit dem Hell-Dunkel-Zyklus unserer Umwelt – und damit mit der Ortszeit.

Nach der Entdeckung eines vollständig neuen Fotorezeptorsystems im Auge ist unser Verständnis davon, wie Licht den zirkadianen Rhythmus und die Wachheit reguliert, in den letzten Jahren beträchtlich gewachsen. Dieser neu entdeckte Fotorezeptor befindet sich nicht im gleichen Teil des Auges wie die Stäbchen (Nachtsicht) und Zapfen (Tagsicht), die uns die Welt bildlich darstellen, sondern in den Ganglienzellen des Sehnervs. Die meisten Ganglienzellen bilden eine funktionale Verbindung zwischen Auge und Gehirn, aber einige spezielle Ganglienzellen (1 – 3 %) sind direkt lichtempfindlich und projizieren das empfangene Licht in den Teil des Gehirns, der für die Regulierung des zirkadianen Rhythmus, des Schlafes, der Aufmerksamkeit, des Gedächtnisses und der Stimmung verantwortlich ist.

Diese fotosensitiven retinalen Ganglienzellen (pRGCs) enthalten ein lichtempfindliches Pigment namens Opn4, das mit einer maximalen Empfindlichkeit bei 480 nm am stärksten auf blaues Licht reagiert, ähnlich dem „Blau“ eines klaren blauen Himmels. Dieses Lichtdetektionssystem ist anatomisch und funktional unabhängig vom visuellen System und entwickelte sich vermutlich bereits vor dem Sehsinn als wichtigstem Sinn für die Erkennung von Licht und die Abstimmung täglicher Rhythmen. Interessanterweise können die pRGCs auch noch bei blinden Tieren oder Menschen mit komplett zerstörten Stäbchen und Zapfen Licht wahrnehmen und somit die innere Uhr und die Wachheit beeinflussen. Das hat weitreichende Konsequenzen für Augenärzte, die zum großen Teil keine Kenntnis dieses neuen Fotorezeptorsystems und seiner Auswirkungen auf die menschliche Physiologie haben.

Angesichts der Farbempfindlichkeit von Opn4 liegt die Vermutung nahe, dass blaues Licht die für eine Verschiebung des zirkadianen Rhythmus und die Alarmierung des Wecksystems effektivste Wellenlänge (Farbe) besitzt. Dies konnte in allen bislang durchgeführten Studien so nachgewiesen werden. Ist man nachts blauem Licht ausgesetzt, führt dies zu einer sehr effektiven Verschiebung der inneren Uhr, verringert die Schläfrigkeit, verbessert die Reaktionszeit und aktiviert Bereiche des Gehirns, die für die Regulierung von Wach- und Schlafphasen zuständig sind.

Neben dem Farbspektrum wirken sich auch Zeitpunkt, Dauer, Muster und Verlauf der Lichteinwirkung in Interaktion miteinander auf den zirkadianen Rhythmus und die Aufmerksamkeit aus. Der Zeitpunkt der Lichteinwirkung ist dabei besonders wichtig. Denn abhängig von der Expositionszeit wird die innere Uhr entweder vorgestellt (früher ins Bett gehen) oder zurückgestellt (später ins Bett gehen). Unter natürlichen Umständen verursacht der Lichteinfluss in der Abenddämmerung eine Verzögerung der Uhr, Licht in der Morgendämmerung hingegen stellt die Uhr vor. Dieser Verschiebungseffekt des Lichts verursacht die Abhängigkeit der SCN-Neuronen vom Tageslicht und ist von grundsätzlicher Bedeutung, um die Auswirkungen von Jetlag, Schichtarbeit (siehe unten) sowie von Tageslicht in Gebäuden auf den Schlaf-Wach-Rhythmus zu verstehen.

Da die pRGCs weniger lichtempfindlich als Stäbchen und Zapfen reagieren, erkennen sie keine kurze Lichteinwirkung, die der Sehsinn sofort erfassen würde. Über längere Dauer aber kann auch schwaches Licht deutliche Wirkung zeigen. Deshalb kann selbst relativ schwaches Licht in Innenräumen, z. B. von Nachtischlampe oder Computerbildschirm (weniger als 100 Lux) über mehrere Stunden hinweg einen messbaren Effekt auf unsere innere Uhr und das Wecksystem haben und Schlafstörungen verschlimmern.

In ihrer Summe finden diese Auswirkungen des Lichts, also seine spektrale Zusammensetzung sowie die Lichtdauer und Helligkeit, breite Anwendung in einem klinischen und beruflichen Umfeld, nicht nur bei der Behandlung von Schlafstörungen und Müdigkeit, sondern auch in der Architektur von Krankenhäusern, Schulen, Büros, Geschäften und Wohngebäuden.

Uhrstörungen – Nachtarbeit und die Rund-um-die-Uhr-Gesellschaft

Die Einführung der Elektrizität und des Kunstlichts im 19. Jahrhundert sowie die Veränderung unserer Arbeitszeiten haben uns schrittweise vom 24-Stunden-Hell-Dunkel-Zyklus der Sonne abgekoppelt. Die Folge ist eine Störung der zirkadianen Uhr und des Schlafsystems. Über die Konsequenzen dieser Störung wurde schon viel geschrieben und die Effekte sind im Allgemeinen ziemlich eindeutig (Tabelle 1). Eine Störung des Schlaf- und zirkadianen Rhythmus führt zu Leistungsdefiziten, die zunehmende Fehleranfälligkeit, Nachlässigkeit, Gedächtnisprobleme, schlechtere geistige und körperliche Reaktionszeiten und Motivationsmangel nach sich ziehen.

Schlafmangel und Schlafstörungen werden außerdem mit einer Reihe von Stoffwechselstörungen, u. a. der Insulin-Glukagon-Achse, in Verbindung gebracht. So benötigen Menschen mit Schlafstörungen mehr Zeit, um die Blutzuckerwerte zu regulieren, während gleichzeitig der Insulinspiegel auf Werte fallen kann, wie sie einer beginnenden Diabetes zugeordnet werden. Diese Abweichungen können durch normalen Schlaf behoben werden.

Ergebnisse dieser Art legen den Schluss nahe, dass eine langfristige Störung des Schlaf- und zirkadianen Rhythmus zu chronischen Krankheiten wie Diabetes, Übergewicht und Bluthochdruck beitragen kann. Außerdem besteht eine starke Korrelation zwischen Übergewicht und Schlafapnoe, einer weiteren Schlafstörung. Unter diesen Umständen kann es häufig zu einer gefährlichen Wechselwirkung zwischen Übergewicht und Schlafstörungen kommen. Besonders bei Nachtarbeitern kommt es zu Schlafmangel und zu Störungen des zirkadianen Rhythmus. Über 20 % der Bevölkerung im Erwerbsalter arbeiten zumindest gelegentlich außerhalb der üblichen Zeiten von 7 bis 19 Uhr.

Lange Phasen der menschlichen Evolution haben sich im hellen Sonnenlicht abgespielt. Seit dem Beginn des Industriezeitalters hat sich dies jedoch geändert – mit Konsequenzen für unsere Gesundheit und Psyche, die wir erst heute langsam zu erkennen beginnen.

„Aufgrund der sich schnell ändernden und miteinander in Konflikt stehenden Wechsel zwischen Hell und Dunkel sowie des Aktivitäts- und Ruheverhaltens kann es bei Schichtarbeitern zu Symptomen ähnlich denen eines Jetlags kommen“, erläutert Josephine Arendt von der University of Surrey. „Während Reisende sich normalerweise auf die neue Zeitzone einstellen, sind Schichtarbeiter ständig außer Takt mit der Ortszeit.“ Selbst nach 20 Jahren Schichtarbeit gelingt es im Normalfall nicht, ihren zirkadianen Rhythmus an die Anforderungen der Nachtarbeit anzupassen.

Trotz der großen Vielfalt und Komplexität von „Schichtsystemen“ hat bislang keines davon die damit verbundenen zirkadianen Probleme vollständig beheben können. Stoffwechsel, Konzentration und Leistung laufen immer noch tagsüber auf Hochtouren, wenn der Nachtarbeiter schlafen möchte, und fallen nachts zur Arbeitszeit ab. Die nicht synchronisierte Physiologie in Kombination mit Schlafmangel wird bei Nachtarbeitern mit einer erhöhten Sterblichkeit aufgrund von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, einem acht Mal höheren Risiko für Magengeschwüre und einem höheren Risiko für bestimmte Krebsarten in Verbindung gebracht. Weitere Probleme sind ein höheres Unfallrisiko, chronische Erschöpfung, übermäßige Schläfrigkeit, Schlafstörungen und ein höheres Risiko für Drogenmissbrauch und Depressionen. Nachtarbeiter empfinden ihre Arbeit auch deutlich häufiger als extrem anstrengend.

Warum also stellen Schichtarbeiter ihre innere Uhr nicht einfach um? Schließlich erholen wir uns auch auf Reisen durch verschiedene Zeitzonen vom Jetlag und stellen uns auf die Ortszeit ein. Die wahrscheinliche Antwort ist, dass die pRGCs, die das zirkadiane System synchronisieren, relativ lichtunempfindlich sind. Die innere Uhr reagiert stets eher auf helles natürliches Sonnenlicht als auf gedämpftes Kunstlicht, wie es häufig am Arbeitsplatz zu finden ist. Man mag kaum glauben, dass das natürliche Licht kurz nach der Morgendämmerung beinahe fünfzigmal heller ist als die übliche Bürobeleuchtung (300 – 500 Lux). Mittags kann das Tageslicht 500 bis 1.000 Mal heller sein – sogar in Nordeuropa.

Die Einwirkung des starken natürlichen Lichts auf dem Weg zu und von der Arbeit, kombiniert mit dem geringen Lichteinfall am Arbeitsplatz, stellt den Nachtarbeiter auf die Ortszeit ein, sodass seine biologische und seine soziale Uhr dauerhaft auseinanderdriften. Bei einem Mangel an natürlichem Licht aber reagiert die innere Uhr schließlich auf das vom Menschen erzeugte Licht. Theoretisch könnte diese Information für die Entwicklung praktischer Gegenmaßnahmen für die Probleme der Nachtarbeit genutzt werden.

Allerdings ziehen es die meisten Nachtarbeiter vor, sich einem umgekehrten Schlaf-Wach-Zyklus nicht anzupassen, weil sie ihre freie Zeit mit Familie und Freunden bei maximaler Wachheit verbringen möchten. Eine Möglichkeit wäre es daher, Arbeitskräfte aufgrund ihrer zirkadianen Präferenzen für Schichtarbeit auszuwählen: „Eulen“ können sich mit zunehmender Tageszeit besser konzentrieren und eignen sich deshalb für die Nachtschicht, während „Lerchen“ eher die Frühschichten übernehmen sollten.

Illustration aus der Daylight and Architecture

Illustration: Ulrika Nilsson Carlsson

Immer mehr Forschungsergebnisse belegen die komplexe und wichtige Wechselwirkung zwischen dem zirkadianen Rhythmus, Schlafstörungen und dem Immunsystem. Ratten sterben bei Schlafentzug eher an einer Sepsis und bei Menschen verringert sich die Aktivität der natürlichen Killerzellen nach nur einer schlaflosen Nacht um bis zu 28 %. Schlafstörungen wirken sich auch auf viele andere Aspekte des Immunsystems aus wie die Zirkulation von Immunkomplexen, die Reaktion von Antikörpern und die Aufnahme von Antigenen. Cortisol bildet ein wichtiges Verbindungsglied zwischen dem Immunsystem, Schlaf und psychischem Stress. Durch Schlafstörungen und dauerhaften psychischen Stress steigt der Cortisolspiegel im Blut. Nach nur einer schlaflosen Nacht kann dieser bis zum folgenden Abend um fast 50 % steigen.

Durch einen hohen Cortisolspiegel wird das Immunsystem unterdrückt, sodass übermüdete Menschen anfälliger für Infektionen sind. In diesem Zusammenhang sind Nachtarbeiter einem höheren Risiko für bestimmte Krebsarten ausgesetzt, über dessen Ursache viel spekuliert wurde. Angesichts der beträchtlichen physiologischen Belastung und des Schlafmangels, die mit Nachtarbeit einhergehen, könnte eine Beeinträchtigung des Immunsystems eine naheliegende Erklärung für dieses Phänomen sein.

Fazit und Ausblick

Dieser Artikel befasst sich mit der Biologie der inneren Uhr sowie mit einigen generellen Problemen, denen wir uns stellen müssen, wenn wir die wichtige Rolle des Schlafes und des zirkadianen Rhythmus in unserem Leben ignorieren. Es besteht kein Zweifel, dass die Anforderungen einer Rund-um-die-Uhr-Gesellschaft zu Schlafmangel, Stimmungsschwankungen, verminderter kognitiver Leistung, reduzierter Kommunikationsfähigkeit und einem höheren Krankheitsrisiko führen. Eine der Konsequenzen dieser Beeinträchtigung der Gehirnfunktion ist die Abhängigkeit großer Teile der Gesellschaft von Aufputschmitteln am Tag und Beruhigungsmitteln in der Nacht als Ersatz für die normalerweise vom zirkadianen System auferlegte Ordnung.

Schichtarbeit ist das vielleicht extremste Beispiel, aber wir sollten die Tatsache nicht ignorieren, dass auch viele Kinder in der Schule, Fachpersonal in Krankenhäusern sowie Fertigungsmitarbeiter und Unternehmensangestellte von natürlichem Licht isoliert sind. Dies erhöht nicht nur die Wahrscheinlichkeit einer Störung von Schlaf und zirkadianem Rhythmus, es zeigen sich auch signifikante Auswirkungen auf die Wahrnehmung, die Stimmung und das Wohlbefinden.

Wir sind eine Spezies, die sich im hellen Tageslicht entwickelt hat. Selbst an einem wolkenverhangenen Tag in Europa erreicht das natürliche Licht eine Stärke von etwa 10.000 Lux, an sonnigen Tagen sogar 100.000 Lux. Dennoch leben wir in Häusern und arbeiten in Büros, Fabriken, Schulen und Krankenhäusern, in denen das fehlende Tageslicht durch künstliche Beleuchtung ersetzt wird, meist von etwa 200 Lux und nur selten mehr als 400 bis 500 Lux. Wir leben unser Leben in dunklen Höhlen. Moderne Architektur verfügt über die Möglichkeiten, die Menschheit von der Dunkelheit zu befreien und es unseren Körpern zu ermöglichen, den natürlichen Hell-Dunkel-Zyklus für die Optimierung unserer biologischen Funktionen zu nutzen. Gute Architektur lässt Licht in unser Leben.

Weiterführende Literatur:

  1. Foster, R.G. & Kreitzman, L. (2004) Rhythms of Life (Rhythmen des Lebens): The biological clocks that control the daily lives of every living thing (Die biologischen Uhren, die den Alltag aller lebenden Wesen kontrollieren). Profile Books, London.
  2. Foster, R.G. & Wulff, K. (2005) The rhythm of rest and excess (Der Rhythmus von Ruhe und Übermaß). Nat Rev Neurosci, 6, 407 – 414.
  3. Foster, R.G. & Hankins, M.W. (2007) Circadian vision (Zirkadiane Vision). Curr Biol, 17, R746 – 751.
  4. Rajaratnam, S.M. & Arendt, J. (2001) Health in a 24-h society (Gesundheit in der Rund-um-die-Uhr-Gesellschaft). Lancet, 358, 999 – 1005.
  5. Zaidi, F.H., Hull, J.T., Peirson, S.N., Wulff, K., Aeschbach, D., Gooley, J.J., Brainard, G.C., Gregory-Evans, K., Rizzo III, J.F., Czeisler, C.A., Foster, R.G., Moseley, M.J. & Lockley, S.W. (2007) Short-wavelength light sensitivity of circadian, pupillary and visual awareness in humans lacking an outer retina (Empfindlichkeit für kurzwelliges Licht der zirkadianen, pupillaren und visuellen Wachheit bei Menschen ohne äußere Retina). Curr Biol, 17, 2122 – 2128.

Empfohlene Artikel

Buiten de Veste' Schule, Steenbergen, Niederlande

Weltweit wurde das Tageslicht durch künstliche Lichtquellen ersetzt – auf Kosten unserer Produktivität und sogar unserer Gesundheit. Mit einer besseren Gebäudegestaltung können wir aber das Tageslicht in unsere Gebäude zurückholen und unser Wohlbefinden und die Leistungsfähigkeit dadurch steigern.

Hessenwaldschule with daylight

Wie lässt sich ein gesundes Gebäude planen, bauen und betreiben? Immer mehr Methoden und Bewertungssysteme, die weltweit in den letzten Jahren entstanden sind, versuchen Antworten auf diese Frage zu liefern. Sie alle haben die Verbesserung von Gesundheit und Wohlbefinden der Gebäudenutzer zum Ziel. Dennoch variieren sie stark in Bezug auf ihren Umfang und die für den Leistungsnachweis verwendeten Metriken. Dazu kommen noch unterschiedliche Gewichtungen der verschiedenen Phasen im Lebenszyklus von Gebäuden. Die nachfolgende chronologische Übersicht bietet eine Auswahl der wichtigsten und zukunftsorientiertesten Werkzeuge sowie der ihnen zugrunde liegenden Methodologien.

Boys at school playing together

Um das menschliche Wohlbefinden tatsächlich zu steigern, müssen wir mit unserer Gebäudegestaltung über die Optimierung einzelner Parameter wie Temperatur und Luftfeuchtigkeit hinausgehen und uns ganzheitlicheren Konzepten zuwenden, die Menschen zu einem gesundheitsfördernden Verhalten ermutigen. Auf Basis der vor Kurzem von Wissenschaftlern entwickelten „Fünf Wege zum Wohlbefinden“ skizziert dieser Artikel, wie Architekten jene Aspekte in ihre Entwürfe aufnehmen können, um die Gebäudenutzer zu einer gesünderen Lebensweise zu motivieren.

Von Koen Steemers, Professor für Nachhaltiges Design und ehemaliger Leiter der Fakultät für Architektur an der Universität Cambridge.

Daylight in the built-up environment

Zahlreiche Untersuchungen zeigen: Menschen ziehen Räume, die mit Tageslicht belichtet werden, jenen vor, in denen es kein natürliches Licht gibt. Warum ist das so? Weshalb bevorzugen Menschen natürliche Lichtquellen, wenn doch auch künstliches Licht genügend Helligkeit zum Sehen spendet? Um diese Frage zu beantworten, muss man die von der Evolution geprägte Beziehung von Mensch und Tageslicht verstehen.

Von Judith Heerwagen, Ph.D., Umweltpsychologin in Seattle, Washington.

Sternenhimmel

Beim Betrachten des Nachthimmels verspüren die meisten von uns eine ganz enge Verbindung mit dem Universum. Doch Sternenhimmel und mondhelle Nächte sind für die meisten Stadtbewohner selten geworden. Angesichts des Schadens, den zu viel Licht in der Nacht den Menschen und dem Ökosystem zufügt, ist es an der Zeit, unsere Beziehung zur „Nachtseite“ unseres Lebens und unserer Kultur zu überdenken. − Von Paul Bogard, Schriftsteller und Assistenzprofessor für Englisch an der James Madison University in Harrisonburg, Virginia, USA.